Wenn Sie einen Immobilienkredit abschließen, müssen Sie sich in der Regel darauf einstellen, diesen über mehrere Jahre zurückzuzahlen. Doch in solch einem langen Zeitraum kann viel passieren und vielleicht treten Umstände ein, aufgrund derer Sie vorzeitig aus dem Darlehensvertrag aussteigen möchten.
Allerdings räumt nicht jede Bank ihren Kunden diese Möglichkeit ein und wenn doch, verlangt sie in der Regel eine hohe Vorfälligkeitsentschädigung als Ausgleich für die entgangenen Zinsgewinne. Unter Umständen können Sie aber auch ohne derartige Zahlungen aus dem Kreditvertrag rauskommen, indem Sie den Widerrufsjoker bei Ihrem Immobiliendarlehen anwenden. Wie das funktioniert und wann das möglich ist, verraten wir Ihnen in diesem Ratgeber.
Kurz & knapp: Widerrufsjoker beim Immobiliendarlehen für Schnellleser
Den Widerrufsjoker können Verbraucher anwenden, deren Vertrag über ein Immobiliendarlehen eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung enthält. Dadurch wird die üblicherweise 14-tägige Widerrufsfrist unwirksam und der Vertrag kann auch Jahre später noch widerrufen werden.
Am wichtigsten ist zu prüfen, ob tatsächlich eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung bei Ihrem Immobiliendarlehen vorliegt. Hier ist meist juristisches Fachwissen gefragt, weshalb Sie sich dafür an einen Anwalt wenden sollten. Dieser kann prüfen, welche Erfolgschancen der Widerruf Ihres Immobiliendarlehens hat, und Sie zum weiteren Vorgehen beraten.
Widerruft ein Verbraucher sein Immobiliendarlehen, werden formal betrachtet sämtliche Zahlungen beider Parteien rückabgewickelt: Der Verbraucher gibt das gesamte Darlehen samt Zinsen und die Bank wiederum die bisher geleisteten Tilgungsraten, ebenfalls samt Zinsen, zurück. In der Praxis werden diese Forderungen allerdings miteinander verrechnet.
Inhalt
Mit dem Widerrufsjoker aus dem Immobiliendarlehen aussteigen
Schließen Sie einen Darlehensvertrag für eine Immobilie ab, können Sie diesen üblicherweise nur binnen 14 Tagen nach Vertragsschluss widerrufen. Damit diese Frist allerdings wirksam ist, müssen Sie von der Bank in korrekter Form über Ihr Widerrufsrecht belehrt werden. Fehlen diese Informationen in Ihrem Kreditvertrag oder sind sie nicht ordnungsgemäß formuliert, gilt die 14-tägige Widerrufsfrist nicht mehr.
Spielen Sie diesen Widerrufsjoker bei Ihrem Immobiliendarlehen aus, können Sie bei Erfolg den Vertrag mitunter auch Jahre später noch widerrufen. Das heißt jedoch nicht, dass damit automatisch ein unendliches Widerrufsrecht besteht. Hier ist entscheidend, wann die Verträge geschlossen wurden:
- vor dem 1. September 2002: Diese können in der Regel nicht mehr widerrufen werden, da das Gesetz zum damaligen Zeitpunkt keine Widerrufsbelehrung vorsah.
- zwischen dem 1. September 2002 und dem 10. Juni 2010: Für diese Verträge galt ursprünglich ein unbegrenztes Widerrufsrecht, doch mit Inkrafttreten von Art. 229 § 38 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) wurde hierfür eine Frist bis zum 21. Juni 2016 gesetzt. Danach war es nicht mehr möglich, den Widerrufsjoker für diese Immobiliendarlehen anzuwenden.
- zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016: Diese Verträge können Sie unbefristet lange widerrufen, sofern tatsächlich eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung vorliegt.
- ab dem 21. März 2016: Liegen hier Gründe vor, die die 14-tägige Widerrufsfrist unwirksam machen, wird diese in der Regel auf 1 Jahr und 14 Tage verlängert. Ein unbefristeter Widerruf ist bei diesen Verträgen somit nicht möglich.
Wann wird die Widerrufsfrist unwirksam?
Um den Widerrufsjoker bei einem Immobiliendarlehen ausspielen zu können, muss die Widerrufsbelehrung im Vertrag entweder komplett fehlen oder ungültig sein. Immer wieder befassen sich die Gerichte mit der Frage, welche Angaben bzw. Formulierungen fehlerhaft sind und die 14-tägige Widerrufsfrist unwirksam machen.
Dies kann z. B. eine ungenaue Formulierung zum Beginn der Frist sein oder das Fehlen einer ordentlichen Postanschrift des Kreditinstituts. Da Verträge individuell formuliert werden dürfen, lässt sich keine pauschale Aussage darüber treffen, wann eine bestimmte Klausel ungültig ist. Dies zu beurteilen, erfordert in der Regel juristisches Fachwissen. Möchten Sie wissen, ob Sie den Widerrufsjoker bei Ihrem Immobiliendarlehen anwenden können, sollten Sie sich deshalb am besten an einen Rechtsanwalt wenden, der sich mit Widerrufen auskennt. Auch eine Verbraucherzentrale kann die Widerrufsbelehrung in Ihrem Vertrag überprüfen.
Lassen Sie von diesen Experten einschätzen, welche Erfolgsaussichten ein Widerruf in Ihrem Fall hat, bevor Sie diesen erklären. Sonst kann es Ihnen passieren, dass sich die Bank erfolgreich gegen Ihren Widerruf wehrt und Sie auf hohen Anwalts- und Gerichtskosten sitzenbleiben,
Die Uneinigkeit zwischen BGH und EuGH
Wenn es darum geht, was genau bei der Widerrufsbelehrung als rechtmäßig gilt und was nicht, kommen nicht alle Gerichte zur gleichen Einschätzung. Die größte Unstimmigkeit diesbezüglich betrifft derzeit die sogenannten Kaskadenverweise.
Damit sind Formulierungen gemeint wie: „Die Widerrufsfrist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Kreditnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs.2 BGB erhalten hat.” Der Beginn der Frist kann in diesem Fall also nicht dem Vertrag allein entnommen werden. Stattdessen muss der Verbraucher obendrein das Bürgerliche Gesetzbuch zur Hand nehmen und den betreffenden Paragraphen nachschlagen.
Und dort ist in Absatz 2 bezüglich der Pflichtangaben Folgendes zu lesen:
(2) Der Vertrag muss die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.
Der Vertrag verweist somit auf eine Rechtsvorschrift, die ihrerseits auf eine andere Rechtsvorschrift verweist, was es dem Verbraucher sehr schwer macht, die nötigen Angaben zu finden.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) sind derartige Kaskadenverweise zulässig und begründen es nicht, den Widerrufsjoker bei einem Immobiliendarlehen anzuwenden. Dies hat der BGH in mehreren Entscheidungen bestätigt (z. B. AZ XI ZR 434/15).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings sieht dies anders und entschied am 26. März 2020, dass der Darlehensvertrag selbst alle notwendigen Informationen zur Widerrufsfrist enthalten muss (AZ C-66/19). Widerrufsbelehrungen mit Kaskadenverweisen seien demnach unzulässig, womit sich BGH und EuGH gegenseitig widersprechen.
Es ist bislang unklar, welche Auswirkungen die Rechtsprechung des EuGH tatsächlich haben wird und ob die deutschen Gerichte fortan der Einschätzung des BGH oder des EuGH folgen werden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht früher oder später eingehend mit dem Thema auseinandersetzt.
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